Achtung Zukunft! Organisationen des Landes, dezentralisiert Euch!
Dies die Überschrift eines Beitrages, welcher auf Linkedin eingestellt wurde. Hier der Link zum Originaltext.
Nach der Hälfte brach ich das Lesen ab. Nicht etwa wegen der persönlichen Sichtweise des Autors oder dem Thema als solches, sondern wie mit der Facetten der Organisation umgegangen wird. Aus meiner Sicht verstehen leider viel zu wenige Menschen die Zusammenhänge und deren Auswirkungen die Materie.
Das führt, gerade in meinem Berufsfeld, zu zerstörten Firmen und unnötigen Schwierigkeiten. Wir werden dafür bezahlt Sinn und Nutzen zu schaffen. Nicht, um eine Unternehmung als Experiment und mit Halbwissen zu missbrauchen. Ein Grund mehr, weshalb sehr viele Firmen auf den Beizug von Beratern verzichten. Sie sind meist das Geld nicht wert. Organisation als solches ist simpel, sie passend anzuwenden ist es nicht.
Aufgrund meiner direkten Aussage, dass ich so manches als Unsinn betrachte, wurde um eine Stellungnahme gebeten. Diese folgt nun. Aufgrund der Länge meines Textes habe ich darauf verzichtet ihn als Kommentar einzustellen.
Einstieg: Lesen und nachdenken
Bevor ich auf den Artikel eingehe ein paar allgemeine Aussagen (nicht aus meiner Feder), welche zur Thematik passen.
Es gibt keine „gute“ Organisation. Die meisten Leute, vor allem die Unerfahrenen, haben die Vorstellung im Kopf, es gebe so etwas wie friktionsfreie Organisationsformen. Ob die Management- oder Betriebswirtschaftslehre jemals eine solche finden wird, bleibe dahingestellt. Bis heute kennen wir diese Organisationsform jedenfalls nicht.
Alle Organisationen sind unvollkommen: alle produzieren Konflikte, Koordinationsaufwand, Informationsprobleme, zwischenmenschliche Reibungsflächen, Unklarheiten, Schnittstellen und alle möglichen anderen Schwierigkeiten. Man gut beraten, davon auszugehen, dass nicht die Wahl zwischen guten und schlechten Organisationen, sondern nur die zwischen mehr oder weniger schlechten hat.
Alle Organisationen erfordern Kompromisse. Darüber hinaus kann man auch nur selten eine „reine“ Organisationsform wählen. Diese gibt es nur in den Lehrbüchern. Reale Organisationen sind praktisch immer Mischungen mehrerer „reiner“ Formen; sie sind Hybridgebilde. Das ist übrigens auch gar nichts Negatives, es sei denn, man ist Purist. Es gibt überhaupt keinen Anlass zu erschrecken, wenn man beim Durchdenken eines Organisationsproblems auf eine Mischform als beste Lösung kommt.
Viele tun das aber, in der irrigen Meinung, sie müssten einer Theorie folgen. In Wahrheit bewegen sie sich immer weiter von einer praktisch brauchbaren Organisationsweise weg. Viel zu häufig wird übersehen, dass es für Probleme, die den Anschein haben, organisatorisch gelöst werden zu müssen, auch andere Lösungen geben kann.
Am Häufigsten wird übersehen, dass die meisten Probleme durch besseres Management, vielleicht nicht gerade gelöst, aber doch gemildert werden können, und zwar viel rascher und leichter als durch Strukturveränderungen.
Man kann hier der Regel folgen: Das Optimum liegt selbstverständlich dort vor, wo „gute“ Organisation in Verbindung mit gutem Management auftritt. Aber das ist eben ein eher seltener Fall.
Sind beide Faktoren negativ, tritt also schlechte Organisation in Verbindung mit schlechtem Management auf, handelt es sich dagegen beinahe immer um einen hoffnungslosen Fall. Das also sind die beiden klaren Fälle.
Wie sieht es aber aus, wenn nur einer der beiden Faktoren gut, der andere hingegen schlecht ist? Ist das Management, die handwerkliche Professionalität schlecht, so lässt sich das der Beobachtung nach niemals durch „gute Organisation“ beheben oder kompensieren. Umgekehrt hingegen kann oft Bemerkenswertes erreicht werden.
Es wird immer wieder erlebt, dass gute Manager selbst innerhalb schlechter Strukturen noch Hervorragendes geleistet haben. Es gibt Führungskräfte, die sich auch durch miserable Organisation nicht daran hindern lassen, ihr Bestes zu geben, und damit allen Widrigkeiten zum Trotz Ergebnisse erzielen.
Erster Rückschluss – es gibt keine perfekte Lösung
Jeder Unternehmung ist einzigartig und benötigt somit eine ebensolche Lösung. Zentral, dezentral… scheissegal. Die Möglichkeit eine hohe Wertschöpfung zu generieren hat damit in keiner Weise etwas zu tun. Dieser Marketing-Gag sollte langsam durch sein.
Das seit Jahren durchgeschüttelte Thema der «Komplexität» ist nicht nur unsinnig in dem Zusammenhang, sondern nicht selten auch falsch. Ohne wirkliche Analyse und dem Verständnis für die vorherrschenden Zusammenhänge vor Ort ist für den Laien fast alles «komplex». Das gilt für die allermeisten Themen und Bereiche in unserem Leben.
Die wiederkehrenden Vergleiche mit der Natur oder weltumspannenden Konzernen sind Versuche die eigene Unsicherheit und das fehlende Verständnis zu kaschieren. Einen Stein und ein Sandstrand zu vergleichen ist nicht nur unpassend, sondern schlicht fragwürdig.
In all den Jahren habe ich extrem selten eine wirklich komplexe Unternehmung vorgefunden. Solche, wo sprichwörtlich jeder Schritt und Tätigkeit einen sofortigen wie direkten Einfluss auf den Rest hatte. Viel häufiger waren chaotische und ungeregelte oder überregulierte Unternehmen, in welchen weder die Führung, noch die Mitarbeitenden verstanden, was sie wirklich taten und warum. Hart ausgedrückt, aber leider belegbare Tatsache. Die Improvisation beherrschte den Alltag. Ein gewisses Mass an Stabilität benötigt jeder Organismus, ohne zerstört er sich selbst. Dabei darf nicht vergessen gehen, dass die Unternehmung – ohne ständige Verbesserung und Anpassung – nach der Gründung dem Untergang geweiht ist. Die Frage ist nur die Lebensdauer.
Vermischung ist keine Lösung – eher Zeichen des fehlenden Verständnisses
Wer sich länger mit Organisation beschäftigt, der wird ein Fragezeichen aufblitzen sehen, wenn von Methoden und Praktiken der agilen PRODUKTentwicklung die Rede ist und diese zur Nutzenstiftung oder zur Strukturveränderung verwendet werden soll. Einmal mehr ein Misch-Masch innerhalb verschiedener Bereiche. Ein klares Zeichen dafür, dass zu viele Berater noch immer glauben, dass Methoden und Modelle überall 1:1 eingesetzt werden können. Teilweise ist das selbstverständlich möglich, wenn man weiss wie und wo.
Wo ist Dezentralisierung sinnvoll?
Wenn man die Dezentralisierung als „Top“ definieren möchte, dann wäre es angebracht zu erklären, welche Unternehmen bzw. welche Bereiche davon wirklich einen Nutzen davon haben könnten.
Die Wurstbude um die Ecke pfeift fast garantiert auf eine Dezentralisierung. Die Grosskonzerne nutzen sie aus nachvollziehbaren Gründen, doch keineswegs mit wirklichem Erfolg.
Ich sage nicht, dass es unsinnig ist, doch muss es passen. Zudem behaupte ich, dass das Mehr der Aktivisten pro Dezentralisierung nie im Leben solche Firmen von innen gesehen haben. Ausser vielleicht im Studium als kleines Licht.
Wie richtig beschrieben wird, die Diskussion zu De- oder Zentralisierung kommt alle paar Jahre erneut auf – ähnlich wie in der Mode. Gemeinsam mit den neuen Beratergilden und deren Suche nach «neuen» Einkommensquellen holt man sich das „Alte“ hervor und verkauft es als „Neues“. Gerade in der agilen Ecke gibt es nur wenig Neues, dafür sehr viel Altes. Notfalls hilft Wikipedia das zu erkennen oder anständige Fachliteratur.
Was benötigen Firmen wirklich?
Was die Firmen benötigen sind angepasste, holistische Sicht- und Wirkungsweisen sowie Verständnis für das, was vor Ort angetroffen wird. Die Anpassungsfähigkeit sowie die Problemlösungsfähigkeit müssen den Fokus darstellen. Der Rest ist mehrheitlich nebensächlich.
Anpassungsfähigkeit – was ist das?
Sie hat nichts mit Agilität zu tun. Das wäre ein Vergleich von Berg zu Kieselstein. Auch hat sie nichts mit «Flexibilität» oder «Stabilität» zu tun. Dazu müssten zuerst generell einmal die Grundlagen vorhanden sein. Durch Organisations-Strukturen nicht zu bewerkstelligen. Falls eine Antwort erwartet wird, sorry. Diese kostet Geld. Ich doziere sehr gerne, doch nicht gegenüber Menschen welche mit Halbwissen ihr Geld machen.
Kundenfokus? – was „Neues“!
Themen wie Kundenorientierung ist bei z.B. Toyota seit Jahrzehnten vollkommen normal. Wie sieht das bei anderen Firmen aus – ausser leeren Bekenntnissen?
Qualität und Org-Struktur – bitte?
Auch eine gleichbleibende Qualität von Produkten und Dienstleistungen sowie deren Auslieferung an den Kunden haben nichts mit der Organisationsstruktur zu tun. Manchmal nicht einmal mit den Prozessen. Mit was denn? Wer sich diese Frage stellt, der darf weder Berater sein, noch versuchen Basis-Organisationswissen zu verkaufen.
Strukturen nach Plan
Selbstverständlich wurden Prozesse und Strukturen nach Plan entworfen. SAP arbeitet noch heute so und die Mehrheit aller Berater schmeissen Standard-Prozesse, -strukturen und -modelle in die Runde. Alles andere wäre Aufwand und wird in der Regel vom Kunden leider auch nicht bezahlt. Zumindest wenn die Qualität reiner Durchschnitt darstellt.
Ist aus meiner Sicht dennoch kein Grund so zu agieren. Unser Job ist es zu verstehen, was die Ziele des Unternehmens sind, wie diese zu erreichen sind und welche Bestandteile dazu geeignet sind. Wer reiner Dienstleister oder vielleicht noch Experte sein will, der kommt nie auf dieses Level. Als Vertrauensperson löse ich die wahren Anliegen. Oder gebe offen zu, dass ich es nicht kann.
Ewige Sache – Kunde im Fokus
Der Kunde und entsprechend das Marktumfeld standen immer im Mittelpunkt bei der Legung von passenden Strukturen – welche grundsätzlich nie für die Ewigkeit sind.
Zukunft hervorsagen = verlorene Zeit
Die Markstabilität hervor zu sagen oder gar die Zukunft ist verlorene Zeit. Ein Treffer ist selten. Die Welt veränderte sich schon immer zu rasch dafür. Deshalb ist der Fokus auf die Kundenwünsche und die Ziele der eigenen Firma zu legen. Ausser man möchte sich selbst ausbremsen oder sich mit sich selbst beschäftigen. Das bringt zwar nichts, aber sieht gegen aussen gut aus. Passende Literatur findet man z.B. bei Lars Vollmer.
«Die Organisation» gab es nie!
Doch wenn unter einem Unternehmensdach (ist von einem Unternehmen oder einem Konzern die Rede?) mehrere Geschäftsmodelle parallel ablaufen, so ist die Firmenleitung unfähig ein passendes Modell zu entwickeln, welches alles in einem Modell abhandelt.
Keine leichte Angelegenheit, doch sind wir Berater nicht bezahlt für die Seiten einer Zeitung zu wenden. Ein wenig mehr darf es schon sein.
Nachdem ich mich mehrere Jahre mit Reifegrad-Modellen und deren Anwendung beschäftig habe, eine klare Erkenntnis. Vergessen, vergraben, unnötig. Warum? Kostet viel Zeit und in dieser ändert sich der Markt, die Umstände und die Rahmenbedingungen. Wie EBIT-Awards oder „Best of Class“-Auszeichnungen, ist dies langfristig nicht zu gebrauchen.
4-Felder-Modelle sind nur Übersichten
Als Anmerkung: die 2×2 Matrizen aus der klassischen Ecke waren schon immer reine Übersichten. Vereinfachte Modelle zum Verständnis sowie für erste Überlegungen. Wer eine solche Ebene zur praktischen Umsetzung verwendet, dem ist nicht zu helfen. Deshalb zurecht: Sowas kann als Gestaltungsgrundlage nicht herangezogen werden. Hat auch absolut nichts mit dem Kernthema zu tun.
Geschäftsmodelle
Haben keinen Lebenszyklus und somit werden diese auch nicht kürzer. Je durchdachter das Modell erstellt wurde und auf die tatsächliche Situation zutrifft, desto länger bleibt es stabil. Anpassungen gehören zum Leben. Gehe davon aus, dass jeder von uns sich gelegentlich was Neues ausprobiert.
Noch immer existieren äusserst erfolgreiche Unternehmen mit Modellen, welche vor Jahrzehnten entwickelt wurden. Die erwähnten Phasenübergänge während der natürlichen Evolution waren stets mit an Bord. Es ist eher eine Frage der Fähigkeit der Geschäftsleitung und des Managements als der Organisations-Struktur. Der Stall macht nicht das Schwein, sozusagen.
Leider können sehr viele Menschen nicht zwischen den verschiedenen Teilen unterscheiden und mischen alles. Man versuche das mit dem Rezept einer Torte und erfreue sich am Resultat. Ein wenig mehr Realitätssinn wäre wünschenswert.
Definition der Wertschöpfungskette notwendig
Bevor man von «entlang der gesamten Wertschöpfungskette» spricht, wäre diese zu definieren. Es gibt keinen Standard, welcher der Praxis entspricht. Und die Theoriegebilde wie eine Wertschöpfungskette aussehen kann, sind unbrauchbar für die Praxis.
Kernfähigkeit in Form von Anpassung
«Das stellt Organisationen, die die Anpassungsfähigkeit nicht zu einer Kernfähigkeit entwickelt haben, vor schier unlösbaren Herausforderungen, die innerhalb der Organisation zu großen Spannungen führen.»
Man zähle doch kurz 10 Unternehmen auf, welche das überhaupt je erreicht haben. Bin gespannt, was genannt wird.
Bitte nicht vergessen: Corona zeigte innert kürzester Zeit, wer die Anpassungsfähigkeit ansatzweise besitzt. Geld reinbuttern, Leute entlassen und massivste Verluste sind keine Massnahme, welche sowas bezeugen. Selbst, wenn die Unternehmung danach noch steht. Der nächste Stoss bedeutet in der Regel das Aus.
Anpassungsfähigkeit hat nichts mit einer Zentralisierung oder der Dezentralisierung zu tun. Es ist immer die Frage, wie das jeweilige Gebilde aufgebaut ist und wie es – im jeweiligen Markt und Umfeld – agieren kann.
Zentral = Unbeweglich?
Oft herrscht das Gefühl vor ein «zentralisiertes Unternehmen» sei ein riesiger Palast auf einer einsamen Insel. Das ist nicht korrekt. Einmal mehr ist die Organisationslehre nicht verstanden worden. Die Arbeit am System war seit Urbeginn der Organisation eines der Hauptmerkmale. Auch war die Wertschöpfung stets im Mittelpunkt. Von Bier, Fussballkasten und Konfetti-Schlachten am Stehtisch kann kein Unternehmen leben. (Kunden)Bedürfnisse zu befriedigen ist auch in der Volkswirtschaftslehre ein zentraler Punkt. Wird gerne vergessen.
An diese Stelle belass ich es… viel Spass beim Nachdenken… Material hat es sicherlich genug.